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#10 Bleiben oder gehen?

Aktualisiert: 23. März 2020



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In Conceptión angekommen, war ich froh, als ich am Busterminal abgeholt wurde. Zabdi, ein Freund von Felipe, konnte es sich einrichten.

Sein Zuhause, was auch für einige Zeit meines werden sollte, war im 20. Stockwerk, ganz in der Nähe der Av. los Carrera, einem wichtigen Kreisverkehr in der Stadt.

Es war schon später, Zeit also, der Sonne zuzusehen, wie sie den strahlend blauen Himmel in die schönsten Farben des Sonnenuntergangs verwandelt. Von dort oben, auf dem Dach, hatte man einen Ausblick über die ganze Stadt. Von tief unten drangen schrille Töne der Trillerpfeifen und dumpfe Schläge hinauf. Ein Wasserwerfer war in der Straße zu sehen, der die demonstrierenden Menschen auseinander trieb. Auf diese Art merkte ich, ich bin in einer Großstadt angekommen. Und ich wollte weiter nach Santiago, um von dort aus Richtung Norden, Richtig Peru zu reisen.

Die Entscheidung, nicht nach Santiago weiter zu fahren ist mir nicht schwer gefallen. Den Berichten einer Freundin zu folge, nahmen die Proteste, aber vor allem die Gewalt und die Maßnahmen des Militärs unberechenbare Ausmaße an, die ich nicht erleben mochte. Die Frage, wie es weiter gehen sollte, wo mein nächster Stop war, wurde immer größer. Auch im Zusammenhang mit der weltweiten Pandemie, die zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenig bestätigte, infizierte Fälle in Chile aufzeigte. Aber für mich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es sich auch in Chile drastisch ausbreiten würde. Wo also war ich sicher? In einer Großstadt, welche in der Vergangenheit auch immer wieder unter schweren Erdeben gelitten hatte (2010, 8,8 Mw), in einem Hochhaus im 20. Stockwerk, fühlte ich mich bald nicht mehr sicher. Ich wollte aufs Land, in die Natur. Ab Montag (16.03.) konnte ich zu einer Freundin, in die Nähe von Valdivia. Ich wollte in Chile bleiben, denn der Virus war mittlerweile auf dem großteil der Welt verbreitet.

Neben den ganzen Nachrichten aus der Welt, ohne die sozialen Medien und den gegeben Umständen, haben wir uns mit Musik, Gesprächen, Philosophie, Photographie und Gesang die Zeit vertrieben. Ich war sehr froh, die Möglichkeit zu haben, noch längere Zeit dort bleiben zu dürfen, bis ich mich aufmachte.

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Der Ausblick über die Stadt erinnerte mich immer wieder daran, wie friedlich es doch eigentlich war. Spielende Kinder plantschten in kleinen Schwimmbecken in der Nachbarschaft, laute Musik, gutes Essen…Begleitet mit den Geräuschen des Verkehrs, wurde ich aber immer wieder erinnert, dass es in der ganzen Stadt keine Ampeln mehr gab, diese waren den vergangenen Demonstrationen (seit Oktober 2019) zum Opfer gefallen.

Zabdi wollte mir gern noch den Rio Bio-Bio zeigen, welcher der zweitlängste Fluss Chiles ist. In den Straßen herrschte gähnende Leere, die Rollos der Läden waren unten. Ich war es schon gewohnt, keine Schaufenster zu sehen, aber irgendwas hatte sich verändert. Auf dem Weg zum Fluss kamen wir an einem großen, leeren Platz vorbei, noch eine sichtbare Erinnerung, an das Erdbeben 2010. Am Rio Bio-Bio, am Wasser, war ich ganz ruhig, beeindruckt von den großen Wassermassen, die sich unaufhaltsam den Weg Richtung Pazifik bahnen. Und auf einmal verspürte ich den Wunsch, nach Hause zu gehen, an einen Ort, von wo aus ich die Kampenwand sehen kann.



„Quedarse? Ir? Rendirse? Persevarar?

preguntas sobre preguntas

y nadie tiene una respuesta lista.

Sigue tu corazón, tu vientre y un poco de tu mente“



Auf dem Weg zurück, sahen wir, warum es so leise auf den Straßen war. Die Menschen waren alle im Supermarkt. Vorräte auffüllen…

Ich war über die vergangenen Wochen immer wieder in Kontakt, mit Freunden und Familie aus Australien, Canada, Italien, China, Deutschland (…). Und es war, wie ein in die Zukunft sehen. Genau das gleiche Szenario war bereits an anderen Orten der Welt schon passiert. Die Entwicklung in der restlichen Welt, zusammen mit der politischen Situation, machten mir Angst. Es war Sonntag (15.03.) Nachmittag, als ich mir den nächstbesten Flug nach München buchte.

Es folgten Zweifel, Fragen, ob es wirklich das richtige ist. Ich wollte reisen, mir die Welt anschauen. Aber auch die Entwicklungen der nächsten Stunden, zeigten mir immer deutlicher, dass es bald unmöglich war, diesen Traum derzeit weiter zu verfolgen. Grenzen wurden geschlossen, zahlreiche Flüge abgesagt. Eine schlaflose Nacht, mit vielen Gesprächen, Diskussionen über verschiedene Möglichkeiten und schlussendlich der Entscheidung, so schnell wie möglich zu fliegen, um überhaupt noch die Chance zu haben auch anzukommen, lag vor mir. Es blieb schlichtweg keine Zeit mehr. Die Nachrichten brachten laufend Neuigkeiten. Stündlich aktualisierte ich die Internetseite der Fluggesellschaft.

Und wieder einmal packte ich meinen Rucksack und machte mich auf Richtung Flughafen. Ungewiss, ob ich wirklich ankomme. Traurig, dieses schöne Land und diese Menschen schon so schnell wieder zu verlassen. Und doch hatte ich diese Entscheidung getroffen. Und es fühlte sich gut an.




Es wurde geklatscht, als das Flugzeug den Boden berührte und sichtliche Erleichterung bei allen Mitreisenden im Gesicht zu sehen.

Irreal, wieder in München zu stehen, an einem fast gespenstisch leeren Flughafen.

Aber wie geht es jetzt weiter? Ich habe alles weggegeben oder verkauft vor meiner Reise. Wo wohne ich? Wo gehe ich hin?

Es ist für alle momentan eine ungewisse Zeit mit vielen offenen Fragen. Und ich mache eben einen teil meiner Reise in Deutschland. Meinen Rucksack, alles was ich brauche habe ich dabei. Jetzt komme ich erstmal an, bleibe zuhause, so wie es die anderen auch alle machen. Nur eben nicht mehr mit der Angst, die ich vor ein paar Tagen noch verspürte.

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